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Diakonie-Magazin 2018/19

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Ist das gerecht?

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Liebe Leserin, lieber Leser,

Gerechtigkeit hat mit Teilen zu tun, das lernen wir als Kinder mit Gummibärchen und Schokoladenstückchen. Und später? Später gewöhnen wir uns daran, dass der eine im Leben ganz viel bekommt – und der andere viel zu wenig. Nicht nur Geld, auch Gesundheit, Talent und Lebensglück sind ungleich verteilt.

 Aber wir sollen das nicht einfach so hinnehmen. Ungleichheit ist biblisch ein Aufruf zur Solidarität. Wir sollen die Kranken pflegen, wir können dafür sorgen, dass Talente entdeckt und gefördert werden, unabhängig vom Elternhaus. Wir können einander Trost spenden und manchmal sogar andere Menschen glücklich machen. Niemand ist alleine zu dem geworden, was er ist. Nicht der Millionär und auch nicht der Wohnungslose. Wir sind immer auch auf andere angewiesen. Zum Ganzen sollte jeder beitragen, nicht nur mit Geld, auch mit Herzenswärme. Sonst fällt unsere Gesellschaft auseinander. Gerechtigkeit kommt von Gott, aber wir Menschen sind es, die sich dafür einsetzen müssen. „Gott hat keine anderen Hände als unsere“, sagte Dorothee Sölle.

Ich darf mich nicht an Ungerechtigkeit gewöhnen. Nicht an die anhaltende Wohnungsnot, nicht an Obdachlosigkeit, nicht an prekäre Beschäftigung und Aufstocker, nicht an die Sanktionspraxis der Jobcenter, nicht an Gewalt gegen Frauen und nicht an Kinder- und Altersarmut.

Diskriminierung und Rassismus finde ich ungerecht, Menschen für ihre Armut selbst die Schuld zu geben, ist mindestens fragwürdig. Und widerlich ist es, soziale Probleme zu missbrauchen, um Stimmung zu machen gegen Geflüchtete, Migranten oder auch Freiwillige, die sich für Flüchtlinge engagieren. Nicht, dass Unterkünfte für Geflüchtete gebaut werden, ist ungerecht.
Ungerecht ist, dass weiterhin so viele Menschen in Hamburg obdachlos sind und die Mieten viel schneller steigen als die Einkommen.

Gerecht wäre, Sozialleistungen wie Hartz IV und Grundsicherung so zu kalkulieren, dass sie tatsächlich das Existenzminimum absichern. Gerecht wäre, in Zugänge zu Bildung und Arbeit großzügig zu investieren. Gerade Quartiere, in denen besonders viele Menschen mit Migrationshintergrund leben, brauchen die besten Kitas, Schulen, Familienzentren, Integrationskurse. Hier passiert schon viel. Aber es ist noch nicht genug.

Der Zeitpunkt ist günstig. Der Wirtschaft geht es gut. Die Steuereinnahmen sprudeln. Wäre das nicht der perfekte Moment für einen Kurswechsel in der Sozialpolitik? Viele Menschen warten darauf!  
  
Ihr
Dirk Ahrens
Landespastor

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Arme und reiche Stadtteile sind in Hamburg nur ein paar U-Bahn-Haltestellen voneinander entfernt – trotzdem liegen Welten dazwischen. Ein Kunstprojekt soll Aufmerksamkeit auf eines der einkommensschwächsten Quartiere lenken: Mit 85.000 Euro von der Kulturbehörde überzog ein Künstler eine Hauswand auf der Veddel mit Blattgold. Die Diakonie ist auf der Veddel zum Beispiel mit Stadtteilarbeit präsent.  

Als Pontius Pilatus sich die Hände wusch und dabei fragte „Was ist Wahrheit?“ – hätte er genauso fragen können „Was ist Gerechtigkeit?“.

Gerechtigkeit und Wahrheit ist gemeinsam, dass es sie nie rein objektiv gibt: Die Wahrheit der einen ist die Unwahrheit der anderen – das Gerechtigkeitsgefühl der einen ist das Ungerechtigkeitsgefühl der anderen. Gerechtigkeit und Wahrheit ist gemeinsam, dass sie angewiesen sind, und zwar auf Beziehung – zwischen Gott und Mensch, zwischen Mensch und Mensch.

Bei Gott gibt es absolute Wahrheit und wirkliche Gerechtigkeit, zwischen Menschen nicht. Es gibt himmelschreiende Ungerechtigkeiten, aber sie werden erst wirklich dadurch himmelschreiend, dass sie uns betroffen machen und verstören. Gerechtigkeit zwischen Menschen – hier und jetzt – entwickelt sich da, wo wir einander liebevoll ansehen, uns anrühren lassen, und dann gemeinsam suchen, wie es gut gehen kann. Und vielleicht braucht es dafür manchmal Irritationen, die auf den ersten Blick nutzlos erscheinen ...

Pastor Dr. Tobias Woydack,  Vorstand Diakonie-Hilfswerk




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Das Diakonie-Hospiz im Stadtteil Volksdorf: Schwerkranke können hier mit besonderer Zuwendung die letzte Zeit verbringen. Zur Diakonie gehören zum Beispiel auch Palliativstationen im Krankenhaus oder spezialisierte Pflegeteams, die zu Schwerkranken und Sterbenden nach Hause kommen. Zudem sind geschulte Ehrenamtliche in der Hospizbegleitung tätig.  


Der Tod ist die allergrößte Ungerechtigkeit, die dem Leben passieren kann. Wir wissen ja, dass der Tod zum Leben gehört, und wir verstehen Krankheiten – Gott sei Dank! – nicht mehr als Strafe Gottes. Aber das Ungerechtigkeitsgefühl bleibt: Je früher jemand verstirbt, umso mehr. Je unerlöster jemand gehen muss, desto schlimmer. Je leidender ein Kranker, desto bitterer.

Gerechtigkeit für Sterbende und Kranke heißt, ihnen mit liebendem Blick alle Zeit und Hilfe zu schenken, die sie brauchen. Und auch für ihre Angehörigen ein Umfeld zu schaffen, damit sie die Situation (er)tragen können.

Genau das macht die Diakonie – in der Hoffnung und Gewissheit, dass am Ende jede dieser Ungerechtigkeiten bei Gott aufgehoben sein wird. „Und Gott wird abwischen alle Tränen“, heißt es im Neuen Testament. So lange sind wir bei denen, die weinen und trösten.  

Pastor Dr. Tobias Woydack,  Vorstand Diakonie-Hilfswerk  


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Ein neues Gesetz soll für Menschen mit Behinderung mehr Gerechtigkeit schaffen - doch die Umsetzung ist nicht einfach

Tanno Brysinski: Referent für Soziale Teilhabe im Diakonischen Werk Hamburg
Tanno Brysinski: Referent für Soziale Teilhabe im Diakonischen Werk Hamburg
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Seit vergangenem Jahr ist das Bundesteilhabegesetz (BTHG) in Kraft. Es soll für Menschen mit Behinderung Verbesserungen bringen – hin zu mehr Selbstbestimmung und Inklusion. Tanno Brysinski, Referent für Soziale Teilhabe im Diakonischen Werk, verhandelt derzeit mit über die Umsetzung des BTHG in Hamburg. Er sagt: „Die Idee ist gut, die praktischen Herausforderungen sind immens.“  

Wie viele Menschen in Hamburg betrifft das Bundesteil-
habegesetz?

Tanno Brysinski: Etwa zehn Prozent der Bevölkerung haben eine schwere Behinderung. Auch wenn nicht jeder Eingliederungshilfe beantragt: Potenziell betrifft das Gesetz rund 180.000 Menschen in Hamburg.

 Warum ist das Gesetz entstanden?
Seit 2009 gilt in Deutschland die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen. Es war zwingend, das nationale Recht daran anzupassen.  

Welcher Grundlinie folgt das BTHG?
Behinderung wird neu gefasst: Es gibt die Einschränkungen beim einzelnen Menschen, aber sie stehen in Wechselwirkung mit den Barrieren in Umwelt und Gesellschaft. Der Blick soll sich auf die Ressourcen von Menschen richten, nicht auf ihre Defizite. Assistenz soll die Betreuung ablösen, aus Fürsorge soll Teilhabe werden.  

Was ändert sich für Menschen mit Behinderungen in
Hamburg?
 Die Reformen treten bis 2023 schrittweise in Kraft. Die Umsetzung ist sehr unterschiedlich – was konkret bei den Berechtigten ankommt, wissen wir oft noch nicht.  

Können Sie Beispiele nennen?
 Schon angelaufen ist die unabhängige Beratung, in Hamburg durch einen Zusammenschluss vor allem von Selbsthilfe-Initiativen. Wenn sich das langfristig im Sozialsystem etabliert, ist das eine gute Sache. Sehr wirksam sind auch die finanziellen Verbesserungen. Bisher musste man praktisch sein ganzes Vermögen aufbrauchen, bevor man Eingliederungshilfe erhielt, und auch mehr vom eigenen Einkommen einsetzen. Dank neuer Freibeträge ist das jetzt anders. Auch das Einkommen des Partners wird nicht mehr angerechnet. Das erleichtert Teilhabe erheblich. Ein drittes Beispiel für die Umsetzung: Generell wird die Eingliederungshilfe aus der Sozialhilfe herausgelöst. Das ist ein Kernstück der Reform. Was jemand wegen seiner Behinderung braucht, etwa der Fahrdienst für einen Menschen im Rollstuhl, soll künftig getrennt abgerechnet werden vom Lebensunterhalt, zum Beispiel für Essen und Miete. Der Ansatz ist genau richtig. Allerdings bringt er sehr viel Bürokratie und auch Risiken mit sich: Stationäre Einrichtungen, die bisher „all inclusive“ gerechnet haben, müssen nun jede Leistung abgrenzen und zuordnen. Ein großer Aufwand hinter den Kulissen – ohne dass sich für die Bewohner zunächst etwas verbessert. Im Gegenteil, wenn die neuen „besonderen Wohnformen“ nicht mehr auskömmlich finanziert werden, könnten den Bewohnern sogar Auszug und möglicherweise Wohnungslosigkeit drohen.  
   
Wie stellt sich die Diakonie auf das Gesetz ein?
 Der Zeitplan, um die Details zu regeln, ist recht sportlich. Derzeit verhandeln die freien Wohlfahrtsverbände, die privaten Anbieter und die Sozialbehörde über den Landesrahmenvertrag zum Sozialgesetzbuch IX. Erst wenn der steht, können einzelne Träger mit der Behörde konkrete Leistungsverträge abschließen. Die fehlende Planungssicherheit ist derzeit ein großes Problem für unsere Mitgliedseinrichtungen.  

Wie wird die Reform finanziert?
Der Bund will mehr Kosten übernehmen und dadurch die Kommunen entlasten. Insgesamt wird die finanzielle Ausstattung der Eingliederungshilfe aber nicht besser.

Aus Ihrer Sicht: Sorgt das BTHG für mehr Teilhabegerechtigkeit?
Für die Berechtigten wird sich im Alltag erst mal wenig ändern. Aber wenn sich durch das BTHG eine andere Kultur einspielt und Menschen mit Behinderung immer mehr als normale Bürger angesehen werden, dann wäre das ein großer Schritt zu mehr Teilhabe und mehr Gerechtigkeit. Ich hoffe, wir können in zehn Jahren sagen: Dieses Gesetz war den Aufwand wert.  

Tanno Brysinski: Referent für Soziale Teilhabe im Diakonischen Werk Hamburg
Tanno Brysinski: Referent für Soziale Teilhabe im Diakonischen Werk Hamburg
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CO2 belastet das Klima, zu Hamburgs Emissionen trägt auch das Kohlekraftwerk im Stadtteil Moorburg bei. Brot für die Welt setzt sich unter dem Dach der Diakonie für Klimagerechtigkeit weltweit ein: mit Hilfsprojekten in den Ländern des Südens, aber auch durch Unterstützung der Hamburger Volksinitiative „Tschüss Kohle“.  


Uns jammert, was wir vor uns sehen. Was wir nicht sehen oder nur aus der Ferne, hat es schwer, unsere Herzen und Sinne zu erreichen – selbst wenn wir darum wissen. Und wir wissen sehr ge-nau: Um den weltweiten Klimawandel, den hauptsächlich die Länder im Norden verursachen und unter dem zuerst die Länder des Südens leiden. Wir wissen, wie die Konflikte der Welt mit unseren Waffen angeheizt werden, wie Flüchtlingsströme auch durch unsere politischen Entscheidungen entstehen. Und so weiter. Und so weiter ...

Komplexe globale Zusammenhänge sind schwer zu fassen – alles hängt irgendwie mit allem zusammen. Und ein Einzelner kann scheinbar nur wenig tun für mehr Gerechtigkeit weltweit. Aber auch die Menschen in der Ferne sind unsere Nächsten, gerade in der globalen Welt. Brot für die Welt und Diakonie Katastrophenhilfe erinnern uns daran und ergänzen unsere beschränkte Wahrnehmung – Gerechtigkeit braucht auch den Blick aufs Ganze!  

Pastor Dr. Tobias Woydack, Vorstand Diakonie-Hilfswerk  


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Herausgeber
Diakonisches Werk Hamburg
Landesverband der Inneren Mission e.V.
Königstraße 54
22767 Hamburg
Telefon 040 30 62 0-231
Fax 040 30 62 0-315
info@diakonie-hamburg.de
www.diakonie-hamburg.de
  
Konzeption, Redaktion, Texte
Steffen Becker (verantwortlich)
Detlev Brockes www.detlevbrockes.de
Anke Pieper www.ankepieper.de (Reportage)

Fotos
Mauricio Bustamante, iStock/FatCamera, Paul Jeffrey, Lea Krause-Solberg, Kristina Krüger, Tina Taege, Markus Scholz, Annette Schrader, Lena Woehler

Zahlen und Fakten
Bianca Carstensen

Gestaltung und Infografiken
Stephanie Haase

Umsetzung für Pageflow
Xenia Kalkmann

Druck
Druckerei Zollenspieker Kollektiv GmbH, Hamburg

Papier
Gedruckt auf 100% Recyclingpapier,
zertifiziert mit dem Blauen Engel.

Auflage
11.000

Quellen zu "Gerechtigkeit - Konzepte und Zahlen":
Konzepte: Bundeszentrale für politische Bildung, Stefan Hradil: Soziale Gerechtigkeit.
Hütten und Paläste, Wohin das Geld fließt: Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein.
Wenige haben viel: Joachim Bischoff, Bernhard Müller: Soziale Ungleichheit im Wohlstand. Reichtum und Armut in Hamburg. Studie im Auftrag der Fraktion Die Linke in der Hamburgischen Bürgerschaft, 2017; unter Verwendung von Zahlen des Manager Magazins für 2016. Pressemitteilung der Finanzbehörde vom 13.06.2018.
Viele haben wenig: Regelbedarfsermittlungsgesetz,Infoportal der Diakonie Deutschland.
Ungleiche Chancen weltweit: Statistisches Bundesamt. Auf Kosten des Klimas: Handout Klimaplan Hamburg, eigene Berechnungen.



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Reportage

Seit vielen Jahren engagiert sich Lutz Hartmann im "Kramladen" der evangelischen Kirchengemeinde Winterhude-Ulenhorst.
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Kleidung sortieren, Kundschaft beraten, auch mal ein Elektrogerät reparieren: Lutz Hartmann (67) ist seit zehn Jahren Freiwilliger im „Kramladen“ der evangelischen Kirchengemeinde Winterhude-Uhlenhorst. Er ist ein Hartz-IV-Veteran. „Glücklicherweise bin ich inzwischen Rentner!“, ruft er aus. Er hat in seinem Leben viel gearbeitet, in der EDV, als Studiotechniker und Kaufmann. „Ich gehörte zur Mittelschicht, habe früher gut verdient.“ Mit Mitte 40 war er das erste Mal länger arbeitslos, er suchte eine neue Arbeit, verlor sie wieder, wurde schwer krank. Als Lutz Hartmann ein Fall fürs Jobcenter wurde, fühlte sich dies an wie ein Fall ins Bodenlose. „Du darfst gern arbeiten und dir ein Bein ausreißen. Aber wenn es dir dreckig geht, dann wirst du allein gelassen.“

Lutz Hartmann findet ungerecht, wie er als Arbeitsloser behandelt wurde. Wie kann eine Gesellschaft für Gerechtigkeit sorgen, wenn einzelne Mitglieder in Not geraten? Wie viel müssen die einen abgeben, um den anderen zu helfen? Die Idee, als Gemeinschaft solidarisch Risiken zu tragen, ist sehr alt. Genauso alt sind die Diskussionen, wie man dies ausgestaltet.
Der Sozialstaat verspricht genau dies: soziale Gerechtigkeit. Zum Beispiel in der Präambel zum Sozialgesetzbuch. Unter anderem, indem der Staat das Existenzminimum absichert. Aber was genau ist das Minimum, das ein Mensch zum Leben braucht? Reichen der Regelsatz von Hartz IV (416 Euro im Monat) und die regional unterschiedlich kalkulierten Kosten der Unterkunft tatsächlich aus? Das Bundesverfassungsgericht erklärte 2010 die Berechnung der Regelsätze für verfassungswidrig. Es wurde nachgebessert. Aber die Berechnung des Mindestbedarfes bleibt strittig. Ein Gutachten im Auftrag der Diakonie Deutschland gelangte 2016 zu dem Ergebnis, dass der Regelsatz für Allein-stehende und Alleinerziehende um rund 150 Euro höher sein müsste. Zwar wurde der Satz zu Beginn 2018 angehoben – allerdings nur um sieben Euro.


Es geht um Menschlichkeit
Wenn Lutz Hartmann etwas ändern dürfte am Hartz-IV-System, dann würde er nicht nur den Regelsatz deutlich erhöhen, sondern auch darauf dringen, dass die Kosten der Unterkunft realistisch kalkuliert werden. Dass das Jobcenter ihn gezwungen hat, aus der Wohnung auszuziehen, die ihm 25 Jahre ein Zuhause war, das habe etwas in ihm kaputtgemacht. „Wegen 30 Euro, die die Miete zu hoch lag! Und wenige Monate später hatte ich wieder einen Job und hätte sie bezahlen können.“ Unter Mühen fand er eine neue Wohnung, kleiner, ein wenig billiger. Aber in der fühlt er sich nicht wohl und in der sitzt er jetzt fest.
Der „Kramladen“ ist ein wichtiger Ort für ihn: „Mir tut es gut, hier zu sein. Die Aufgabe macht Spaß und hilft mir, nicht zynisch zu werden.“ Beim Jobcenter vermisste er vor allem das Gefühl, als Mensch gesehen zu werden: „Die ganze Haltung ist verkehrt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollten ihre Kunden nicht gängeln und schikanieren. Mich haben sie auf der einen Seite ermahnt, mich adäquat zu kleiden, damit meine Bewerbungen erfolgreich sind. Dann musste ich mir anhören, wer so fein gekleidet sei, der brauche ja wohl kein Geld vom Jobcenter. Schlimm, oder? Die Mitarbeitenden sollen fördern, nicht fertigmachen! Dafür müssten sie aber selbst ganz anders qualifiziert werden, damit sie ihre Arbeit verantwortungsvoll ausführen können.“
Seit vielen Jahren engagiert sich Lutz Hartmann im "Kramladen" der evangelischen Kirchengemeinde Winterhude-Ulenhorst.
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Seit vielen Jahren engagiert sich Lutz Hartmann im "Kramladen" der evangelischen Kirchengemeinde Winterhude-Uhlenhorst.
Seit vielen Jahren engagiert sich Lutz Hartmann im "Kramladen" der evangelischen Kirchengemeinde Winterhude-Uhlenhorst.
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Secondhandkleidung und 1.000-Euro-Taschen
Im Winterhuder „Kramladen“ liegen Pullover, Hemden und Hosen ordentlich sortiert in Regalen und auch passende Handtaschen gibt es – alles für kleines Geld. Zum Glück, denn auch im wohlhabenden Winterhude gibt es Menschen, die von einer kleinen Rente, von Grundsicherung oder Hartz IV leben. 36,45 Euro im Monat sieht der Regelsatz für Bekleidung und Schuhe vor.
Einige Kilometer südlich im Hanseviertel warten in eleganten Flagship-Stores Luxus-Handtaschen auf Käuferinnen. Da können schon mal 1.200 Euro auf dem Preisschild stehen. Das entspricht so ungefähr dem, was ein Hamburger Rentner mit durchschnittlicher Rente pro Monat zur Verfügung hat – bei den Rentnerinnen liegt der Schnitt deutlich niedriger bei 700 Euro. Welten liegen zwischen Durchschnittsverdienern und den Kunden der Luxusboutiquen.

Der Reichtum konzentriert sich in einer sehr kleinen Gruppe. In keinem anderen EU-Land so extrem wie in Deutschland. Das reichste Zehntel der Deutschen besitzt über 63 Prozent des gesamten Vermögens dieses Landes. Und während die Einkommen aus Erwerbstätigkeit nach Berechnungen seit 1990 real nur um rund 6 Prozent gestiegen sind, wuchsen die Vermögens- einkommen im gleichen Zeitraum um fast 30 Prozent. Ist das gerecht? Die Vermögen sind oft gar nicht selbst erarbeitet, sondern ererbt. Und auch die Unterschiede zwischen kleinen und großen Erwerbseinkommen nehmen zu – so sehr, dass Ökonomen beunruhigt sind. Hamburg liegt bei der sogenannten Einkommensspreizung übrigens an der Spitze aller Bundesländer.

Besonders alarmierend: Die einkommensärmsten 40 Prozent der Menschen hierzulande haben praktisch keine Rücklagen. Jede unerwartete Ausgabe kann in dieser Situation zur Verschuldung führen. Es fehlen die Ressourcen, um in die eigene Weiterbildung zu investieren oder in das Studium der Kinder.

Diese Ungleichheit wird zum Problem für die Demokratie: Sie lebt von der Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger, sie verspricht Chancen auf sozialen Aufstieg und Abfederung der Risiken. Viele erleben aber, dass diese Versprechen nicht gehalten werden.

Ein paar Quadratmeter Hamburg
Stattdessen wird der Verteilungskampf schärfer. Ein Beispiel: der Wohnungsmarkt. Nach einer aktuellen Studie der Haspa müssen 45 Prozent der Hamburger Haushalte bereits mindestens die Hälfte ihres Einkommens für Miete und Nebenkosten ausgeben. Die Mieten steigen viel schneller als die Löhne und Renten. Viele Mieter fragen sich, wie lange sie das noch schaffen sollen.
Die Angst um die Wohnung ist auch bei den 185.000 Hamburger Hartz-IV-Beziehern groß. Wenn das Jobcenter Sanktionen verhängt, wird der Regelsatz um 25 Prozent oder sogar um die Hälfte gekürzt oder gar nichts überwiesen. Häufig führt das zu Mietschulden, weil Geld, das für die Miete vorgesehen ist, dann für den Lebensunterhalt verwendet wird. Schlimmstenfalls folgt der Verlust der Wohnung. Bereits zwei versäumte Mietzahlungen können zur fristlosen Kündigung führen. Das erlebte auch Bassam A. in Harburg.
Seit vielen Jahren engagiert sich Lutz Hartmann im "Kramladen" der evangelischen Kirchengemeinde Winterhude-Uhlenhorst.
Seit vielen Jahren engagiert sich Lutz Hartmann im "Kramladen" der evangelischen Kirchengemeinde Winterhude-Uhlenhorst.
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Peter Uwe S. (rechts) und Bassam A. aus Harburg sind wohnungslos und suchen dringend eine neue Bleibe.
Peter Uwe S. (rechts) und Bassam A. aus Harburg sind wohnungslos und suchen dringend eine neue Bleibe.
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Zu Konkurrenten gemacht
Der Autohändler, der jahrelang gut verdiente, musste Insolvenz anmelden. Das Jobcenter zahlte gar nicht, obwohl er völlig mittellos war. Er klagte. Als ihm das Sozialgericht schließlich Recht gab und das Jobcenter zur Nachzahlung aufforderte, war seine Wohnung schon zwangsgeräumt. Er schläft jetzt bei Freunden auf dem Gästesofa – wenn er überhaupt ein Auge zubekommt. „Natürlich habe ich mich um eine neue Wohnung bemüht, war bei der SAGA, bei einer Genossenschaft, aber ich habe einen Schufa-Eintrag. Solange der besteht, sind meine Chancen gleich null, da werde ich gar nicht erst zur Besichtigung eingeladen.“ Deshalb lässt er sich jetzt bei der Sozialen Beratungsstelle Harburg beraten, die Diakonie und Heilsarmee gemeinsam tragen.

Dort hofft auch Peter Uwe S. auf Hilfe. Aus seiner letzten Wohnung im Souterrain auf St. Pauli wurde er per Eigenbedarfsklage herausgedrängt. Er hat eine mehrjährige Odyssee durch mehrere Notunterkünfte hinter sich, bezieht Hartz IV, sein Rentenantrag läuft. Die bisherigen Besichtigungstermine waren enttäuschend: „Wenn sie hören, dass ich wohnungslos bin, winken sie ab.“

Zwar entstehen überall in der Stadt Wohnungen, darunter auch Sozialwohnungen, aber die Wohnungsnot hält an. Vor allem bezahlbare Wohnungen fehlen. Mitte der 1970er-Jahre gab es 400.000 Sozialwohnungen in Hamburg, 2017 noch knapp 80.000. Laufend fallen bisherige Sozialwohnungen aus der Mietpreisbindung heraus – ein Schwund, den der aktuelle Neubau nicht ausgleichen kann.

Der Senat will die Einkommensgrenze für den Wohnberechtigungsschein erhöhen, dann hätten zukünftig 40 Prozent der Hamburger Haushalte Anspruch auf eine Sozialwohnung. Gegen fehlende Sozialwohnungen hilft das allerdings nicht. Bereits jetzt konkurrieren Menschen mit mittlerem Einkommen mit Geringverdienern und sozial Benachteiligten um eine viel zu geringe Zahl an bezahlbaren Wohnungen. Wenig überraschend, wer dabei meist leer ausgeht. „So schlimm wie heute war es noch nie“, sagt Helmut Trummel, der seit über 20 Jahren in der Sozialen Beratung für Wohnungsnotfälle in Harburg arbeitet. „Auch nach dem Mauerfall, als viele Menschen nach Hamburg zogen, war es sehr eng auf dem Wohnungsmarkt. Aber was wir derzeit erleben, toppt alles.“ Zwar gibt es für Menschen, die am Wohnungsmarkt besonders benachteiligt sind, ein Kontingent an Wohnungen, die ausschließlich mit Dringlichkeitsbestätigung vergeben werden dürfen. Aber es sind zu wenige, kritisiert Helmut Trummel: „Im letzten Jahr waren es ganze fünf Klienten, die mit Dringlichkeitsbestätigung eine neue Wohnung beziehen konnten.“
Peter Uwe S. (rechts) und Bassam A. aus Harburg sind wohnungslos und suchen dringend eine neue Bleibe.
Peter Uwe S. (rechts) und Bassam A. aus Harburg sind wohnungslos und suchen dringend eine neue Bleibe.
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Kiyan (rechts) hat in der Kita viele neue Freunde gefunden.
Kiyan (rechts) hat in der Kita viele neue Freunde gefunden.
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Expertinnen und Experten für Integration
Nicht nur die Lebenswelten der Hamburger, auch die Quartiere driften auseinander. Die Kaufkraft unterscheidet sich drastisch. Die sozialen Herausforderungen ebenso. Das lässt sich an kaum einem Ort so gut beobachten wie in den Kitas.
 
Die evangelische Kita Maria-Magdalena in Osdorf ist eine der ältesten integrativen Kindertagesstätten in Hamburg. Sie macht sich stark für die Inklusion von Kindern mit Behinderung und engagiert sich in der Sprachförderung. Schon lange bringt die Mehrheit der Kinder einen Migrationshintergrund mit.

Der sechsjährige Kiyan nimmt die Schaufel, die riesig aussieht in seiner Hand und drückt sie energisch in den Sand. Er buddelt zusammen mit einem Spielfreund ein tiefes Loch im Sandkasten der Kita. Neben dem Sandkasten steht sein Geh-Trainer. Der sieht etwa so aus wie ein Rollator in Kindergröße. Kiyan kann nicht laufen wie andere Kinder. Aber ein paar Schritte schafft er schon, wenn jemand ihn stützt. Kiyan kann auch nicht sprechen, aber wenn ihn ein Kind ärgert, schiebt er es von sich weg. Und was die anderen reden oder ihn fragen, das versteht er inzwischen perfekt.

Kiyan ist seit seiner Geburt schwer mehrfach behindert. Mit seinen aus dem Iran stammenden Eltern und seiner jüngeren Schwester Kimia, die ebenfalls die Kita besucht, wohnt er in einer Folgeunterkunft in Osdorf.

„Über 90 Prozent unserer Kinder haben einen Migrationshintergrund. Teilweise kommen sie ohne Deutschkenntnisse in die Kita“, erklärt Kita-Leiterin Inga Breuer. „Wir nehmen auch viele Kinder aus Folgeunterkünften auf. Unser Ziel ist immer, sie so zu unterstützen, dass sie bis zur Einschulung unsere Sprache gut verstehen und sprechen.“ Die Eltern sprechen oft erst wenig Deutsch. Bei Elternabenden werden notfalls mehrere Dolmetscher dazugeholt: „Wir informieren über unsere pädagogische Arbeit und auch über Kinderrechte und legen Wert auf gute Zusammenarbeit mit den Eltern. Das geht nur, wenn wir miteinander kommunizieren können.“ Die Kita bewarb sich für zusätzliche Sprachförderung um Mittel aus dem Bundesfamilienministerium, wurde in das Programm „Sprach-Kita“ aufgenommen und beschäftigt eine Fachkraft, die sowohl die Kinder direkt fördert, als auch das Erzieherinnenteam schult. Inga Breuer bedauert, dass das Förderprogramm zeitlich befristet ist: „Sprachförderung ist bei uns wirklich sehr wichtig, wir könnten noch mehr davon gebrauchen und wir bräuchten hier dauerhaft Unterstützung. Je mehr wir hier für die Kinder tun können, desto besser ist es für ihren weiteren Bildungsweg.“
   
Hilfe im Umgang mit dem Hilfesystem
In jeder Gruppe der Kita haben vier bis fünf Kinder eine Behinderung oder besonderem Förderbedarf, sie erhalten zum Beispiel Ergo- oder Physiotherapie durch externe Therapeuten. Dafür braucht es jedoch zunächst ärztliche Diagnosen. Für Kiyans Eltern und viele andere Mütter und Väter eine Anforderung, an der sie ohne Hilfe der Kita gescheitert wären.

Die Erzieherinnen und Erzieher haben für Kiyan viele Anträge ausgefüllt, gegen ablehnende Bescheide Widerspruch eingelegt, ärztliche Gutachten eingeholt. Viele Stunden haben sie damit zugebracht – zum Teil auch nach Feierabend. Das Hilfesystem ist leistungsstark, aber der Zugang zu den Hilfen ist kompliziert.
Kiyan (rechts) hat in der Kita viele neue Freunde gefunden.
Kiyan (rechts) hat in der Kita viele neue Freunde gefunden.
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Francis Porsingula kämpft in Indien für mehr Gerechtigkeit. Bei einem Besuch in Hamburg entdeckte sie Unterschiede und überraschende Gemeinsamkeiten.
Francis Porsingula kämpft in Indien für mehr Gerechtigkeit. Bei einem Besuch in Hamburg entdeckte sie Unterschiede und überraschende Gemeinsamkeiten.
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„Tut mehr für die Frauen!“
Einen ganz besonderen Blick auf die Frage nach Gerechtigkeit hat Francis Porsingula. Die Sozialarbeiterin hat vor 25 Jahren die Nichtregierungsorganisation „We Care“ in Südindien aufgebaut, die vor allem Frauen in den ärmsten Gemeinden in ländlichen Regionen hilft, und auch mit den indischen Ureinwohnern arbeitet. Bei ihrer Arbeit hat sie gelernt, dass Selbsthilfe-Projekte und Bildungsangebote dann am erfolgreichsten sind, wenn sie sich an die Frauen richten: „Über sie erreicht man die ganze Familie.“

Als Stipendiatin eines Austauschprogramms für Fachkräfte aus den Länder des globalen Südens bei der Diakonie konnte sie zwei Monate lang Eindrücke von sozialer und pädagogischer Arbeit in Hamburg sammeln, mit Kollegen sprechen und an neuen Netzwerken arbeiten. „Natürlich ist Hamburg ganz anders als die Städte in Indien. Trotzdem gibt es wichtige Gemeinsamkeiten“, stellte sie fest. Die 52-Jährige hospitierte in einer Kita, lernte das Frauennotruftelefon kennen, informierte sich über Frauenbildungsangebote und war in einem Frauenhaus zu Gast. „Frauen in Hamburg bewegen sich frei durch die Stadt, viele sind berufstätig und wirken sehr selbstbewusst auf mich“, sagt sie. „Aber ich habe auch gesehen, dass es nicht allen gut geht. Manche erleiden Gewalt oder Missbrauch. Und auch in Deutschland verdienen Frauen deutlich weniger als Männer, das hätte ich nicht gedacht!“

Eine Gruppe von Hamburgerinnen interessierte sie besonders: die Alleinerziehenden. Rund 40 Prozent von ihnen sind arm. „Warum erhalten sie nicht mehr Unterstützung?“, fragt die Inderin. „Diese Unterstützung würde so viel bewirken, für die Frauen und die Kinder.“ Zu Hause in Indien motiviert sie Frauen, etwas Geld zu sparen und sich gegenseitig Mikrokredite zu ermöglichen: „Bei uns sind es immer noch die Frauen, die die härtesten Arbeiten machen, die am wenigsten verdienen und oft in den Familien nahezu wie Rechtlose leben.“ Sie begegnet ihnen auf Augenhöhe, hört ihnen zu, nimmt ihre Wünsche auf. Mit ihrer Organisation fördert sie Bildung und gesundheitliche Prävention. Mit Empowerment-Trainings stärkt sie das Selbstbewusstsein von Frauen. „Das Wichtigste an unserer Arbeit ist, nicht irgendwelche Programme über die Köpfe der Menschen hinweg zu beschließen. Wir müssen sie einladen, ihre eigenen Ideen einzubringen. Ganz egal ob du in Indien etwas bewegen willst oder in Hamburg: Partizipation ist das Zauberwort!“
Francis Porsingula kämpft in Indien für mehr Gerechtigkeit. Bei einem Besuch in Hamburg entdeckte sie Unterschiede und überraschende Gemeinsamkeiten.
Francis Porsingula kämpft in Indien für mehr Gerechtigkeit. Bei einem Besuch in Hamburg entdeckte sie Unterschiede und überraschende Gemeinsamkeiten.
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Sozialdiakonin Uschi Hoffmann setzt in der Kirchengemeinde Veddel auf Partizipation, Kreativität und Kunst.
Sozialdiakonin Uschi Hoffmann setzt in der Kirchengemeinde Veddel auf Partizipation, Kreativität und Kunst.
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SoliPolis – Ideen für eine gerechtere Stadt
Im Café Nova sind die Tische schon vorbereitet. Auf jedem steht eine Vase mit einer roten Rose. „Wir möchten, dass es unsere Gäste schön haben“, sagt Ilse Brüschke, die regelmäßig mithilft als Freiwillige beim „Veddeler Abendbrot“ dienstags im Gemeindehaus. „Das Café ist mein zweites Zuhause geworden“, erklärt die 61-Jährige, die seit 30 Jahren auf der Veddel lebt, und setzt sich mit zwei anderen Helferinnen auf Bänke vor dem Eingang. Es bleibt noch Zeit für ein Schwätzchen und eine Zigarette. Ob das Essen reicht? Seit Wochen ist noch mehr los als sonst im zum gemütlichen Café umgestalteten Gemeindesaal. Den ganzen Sommer über liefen die Vorbereitungen für das große Festival des Deutschen Schauspielhauses „New Hamburg – SoliPolis“. Ilse Brüschke freut sich schon darauf. Sie macht diesmal beim Tanztheater mit. In einer großen Tabelle an der Wand konnte sich jeder eintragen, der mithelfen wollte beim Festival. Die Kirchengemeinde ist offen für alle Stadtteilbewohner und setzt auf Partizipation, nicht nur beim Festival. Stadtteildiakonin Uschi Hoffmann erklärt: „Gemeinsam entwickeln wir Ideen. Zugänge zu Arbeit können wir als Kirchengemeinde den Menschen nicht verschaffen, deshalb bieten wir Zugänge zur Kultur an. Bei uns ist jeder willkommen und kann aktiv werden.“

So entstand eine sehr besondere Allianz zwischen Kunst, Kirchengemeinde und Quartier, als das Deutsche Schauspielhaus ein Vor-Ort-Projekt in Hamburg plante und die Wahl auf die Veddel fiel. Große Stiftungen unterstützen das Projekt „New Hamburg“. Bereits 2014 fand ein erstes Festival auf der Veddel statt. Die Kooperation wurde in den Folgejahren fortgesetzt mit einzelnen Theaterabenden und Performances, im September 2018 folgte das zweite „New Hamburg“-Festival.
Sozialdiakonin Uschi Hoffmann setzt in der Kirchengemeinde Veddel auf Partizipation, Kreativität und Kunst.
Sozialdiakonin Uschi Hoffmann setzt in der Kirchengemeinde Veddel auf Partizipation, Kreativität und Kunst.
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Der New Yorker Oscar Olivo (Mitte) baute mit einem Team aus Künstlern und Laien lebensgroße Puppen und Figuren für die "SoliPolis"-Parade.
Der New Yorker Oscar Olivo (Mitte) baute mit einem Team aus Künstlern und Laien lebensgroße Puppen und Figuren für die "SoliPolis"-Parade.
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Einladung zum Perspektivwechsel
Für seinen Festival-Beitrag recherchierte Regisseur Dor Aloni vor Ort und schrieb dann ein Stück über das Schicksal zweier Staatenloser. Er inszenierte es mit Profi-Schauspielern und Laien in der Veddeler Immanuelkirche. Auch das Stück „Zonck“ von Regisseurin Paulina Neukampf entstand mit einem gemischten Ensemble: „Die Raucherkneipe Zonck wird darin zum heimlichen Mittelpunkt Hamburgs, hier wird geprahlt und an Legenden gestrickt, über wüste Scherze gelacht, es ist eine eingeschworene Gemeinschaft. Wir drehen den Spieß um und machen uns lustig über den Irrsinn der Gesellschaft draußen vor der Kneipentür, die sich vor allem über Arbeit und Besitz definiert.“

Eröffnet wurde das Festival durch eine Parade großer Puppen, die der New Yorker Künstler Oscar Olivo mit einem Team baute und spielte. „Die Veddel erinnert mich an New Yorker Stadtteile mit vielen Sozialwohnungen, wo es auch fast wie in einem Dorf zugeht.“

Die Veddel gehört zu den einkommensärmsten Quartieren Hamburgs, das Durchschnittseinkommen der 4.500 Bewohner liegt bei knapp 16.000 Euro pro Jahr. Es gibt nur einen Discounter, keine Drogerie, keine Apotheke.

Das Festival macht den Stadtteil zur Open-Air-Bühne, bringt Menschen aus dem Stadtteil und Theaterfans zusammen. „Die Frage, die wir uns alle gemeinsam stellen: Wie wollen wir als Stadtgesellschaft und in unseren Stadtteilen zusammenleben?“, so Uschi Hoffmann.

„Wie können wir Austausch fördern, Solidarität stärken und für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen? Wie können wir ein Umdenken herbeiführen, sodass Menschen nicht mehr ausgegrenzt und an den Rand gedrängt werden? Andere Städte sind da weiter, mutiger. Wir müssen dringend über den Tellerrand schauen, um in Zukunft humanere Rahmenbedingungen zu erreichen.“
Auch wenn die Theaterleute wieder ins Deutsche Schauspielhaus zurückkehren, hält das Gemeindehaus seine Türen offen. Es bleibt ein Ort zum Mitmachen und Weiterdenken.
Der New Yorker Oscar Olivo (Mitte) baute mit einem Team aus Künstlern und Laien lebensgroße Puppen und Figuren für die "SoliPolis"-Parade.
Der New Yorker Oscar Olivo (Mitte) baute mit einem Team aus Künstlern und Laien lebensgroße Puppen und Figuren für die "SoliPolis"-Parade.
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Konzepte sozialer Gerechtigkeit

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Ist das gerecht? Sechs Beispiele

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Forderungen

Indem ...

• wir eine Pflegeversicherung bekommen, die eine echte Absicherung für pflegebedürftige Menschen darstellt, und der Eigenanteil an den Pflegekosten gesenkt wird. 

• wir mehr niedrigschwellige und kostengünstige Unterstützungsangebote für Senioren in Hamburg anbieten können und es mehr Entlastungsangebote für pflegende Angehörige gibt. 

• wir die zunehmende Altersarmut bekämpfen: zum Beispiel durch höhere Regelsätze und Freibeträge in der Grundsicherung im Alter. 

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Indem...

• es Flächentarifverträge für soziale Berufe wie Erzieher oder Mitarbeitende in der Pflege gibt.

• Hamburg Programme gegen den Fachkräftemangel auflegt.

• gute Bezahlung nicht zum Konkurrenznachteil wird. 

• Tarifbindungen in allen Arbeitsfeldern Sozialer Arbeit anerkannt werden.
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Indem...

  • Hamburg die Regelsätze und Zuschläge erhöht: Einkommensarme Menschen hätten dann mehr Geld in der Tasche und könnten besser am gesellschaftlichen Leben teilnehmen.

• auch andere monetäre Barrieren, die Menschen ausschließen, gesenkt werden: zum Beispiel durch einen kostenlosen HVV und freien oder preiswerten Zugang zu kulturellen Angeboten. 

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Indem...

• alle Regeleinrichtungen - zum beispiel Schulen, Ausbildungsstätten, Agenturen für Arbeit, Sozialberatungen - so ausgestattet werden, dass sie ihre Aufgaben wirklich erfüllen können. 
 
• alle Flüchtlinge Zugang zu unabhängiger Beratung beim Asylverfahren haben. 
 
• beim Zugang zu Integrationsangeboten (Sprachkurse, Arbeits- und Qualifizierungsmaßnahmen etc.) nicht zwischen unterschiedlichen Statusgruppen sortiert wird. 
 
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Indem...

• die Stadt zuerst den Bau bezahlbarer Wohnungen für Wohnungslose und sogenannte "D-Schein-Berechtigte" (zum Beispiel Frauen im Frauenhaus, Menschen mit Behinderung, Familien und bedürftige Senioren) fördert.
 
• alle neu gebauten und alle frei werdenden Sozialwohnungen nach einer transparenten Prioritätenliste vergeben werden. 
 
• bei der öffentlich-rechtlichen Unterbringung genügend Plätze für alle geschaffen werden, damit Geflüchtete und Obdachlose nicht miteinander konkurrieren müssen. 

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Indem...

• es individuelle, passende Angebote für ein selbstbestimmtes Leben mit Behinderung gibt.

• die Antragswege stark vereinfacht werden und es höhere Freibeträge oder besser gar keine Anrechnung von Einkommen mehr gibt. 
 
• es mehr Angebote auch für schwer zu erreichende Gruppen gibt, zum Beispiel Flüchtlinge mit Behinderungen oder schwer psychisch Erkrankte. 
 
• das neue Bundesteilhabegesetz so umgesetzt wird, dass es die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen wirklich verbessert, die inklusive Gesellschaft fördert und tatsächlich mehr Teilhabe und Selbstbestimmung bewirkt.  
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Indem...

• dafür gesorgt wird, dass der Lebensweg von jungen Menschen nicht mehr abhängig ist von Geld und Herkunft
 
• schulische und außerschulische Bildungsorte vielfältiges und selbstbestimmtes Lernen ermöglichen. 
 
• junge Menschen in der Wahrnehmung ihrer Rechte auf Bildung und Entwicklung gestärkt werden.  

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Indem...

• Hamburg nicht nur von der EU-Erweiterung profitiert, sondern auch die Verantwortung für Armutszuwanderung übernimmt. Wer Fachkräfte etwa aus Rumänien, Bulgarien oder Polen willkommen heißt, sollte nicht gleichzeitig versuchen, arbeitssuchende arme Menschen aus diesen Ländern zu vertreiben.

• wir Produkte aus dem fairen Handeln in öffentlichen Einrichtungen wie zum Beispiel Schulen oder Krankenhäusern verwenden. 
 
• das Winternotprogramm tatsächlich für alle Bedürftigen - gleich welcher Nationalität - offen ist. 

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"Ich finde in Hamburg ungerecht"

 „... dass die Menschen in Blankenese im Schnitt fast elf Jahre länger leben als die Menschen auf der Veddel. Auch die Krankheitshäufigkeit ist extrem ungleich verteilt. Krankheit und Gesundheit sind in Hamburg eine Frage von gesellschaftlichen Machtverhältnissen.“   
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„… dass durch Gentrifizierung und steigende Mieten in einigen Stadtteilen immer mehr Menschen gezwungen sind, wegzuziehen. Wohnraum muss für alle erschwinglich sein. Zudem verlieren Stadtteile wie Sankt Pauli ihre Identität. Mit den ursprünglichen Bewohnern geht auch die Atmosphäre von einst verloren.“   
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 „… wenn arme Stadtteile nicht bevorzugt mit Bildung versorgt werden. Bücherhallen, gute Angebote im Umkreis von Schule, Musik und Sport können Nachteilen eines ärmeren Umfelds entgegenwirken. Bildung ist eine ganz kostbare Ressource für ein selbstbewusstes Leben.“   
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 „... dass immer noch so viele Menschen obdachlos sind. Als könne man da nichts machen. Man kann sehr wohl etwas machen! Wir freuen uns darüber, dass dank zweier Stiftungen ein Haus gebaut wird, in dem Hinz&Kunzt und 24 Menschen eine Heimat finden.“ 
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„… dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter aufgeht. Die Bereitschaft zu helfen ist in unserer Gesellschaft vorhanden. Es fehlt aber an hauptamtlichen Strukturen, die Hilfe effektiv zu koordinieren.“   
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