Alt werden - ein Geschenk
Diakonie-Magazin 2017/18Alt werden - ein GeschenkWie die Diakonie ältere Menschen unterstützt
EditorialEin "göttliches Geschenk"
„Alt werden – ein Geschenk“ steht vorne auf dem Titel.
Ja, so ist es. Es ist nicht selbstverständlich, alt zu werden – und vor allem: gesund alt zu werden. Durch den gewaltigen Fortschritt in Medizin und Versorgung ist unsere Lebens-erwartung deutlich gestiegen. Es liegt aber nicht nur am Fortschritt, sondern auch daran, dass Hunger und Krieg für uns weit weg sind. Das ist – wie wir leider zu gut wissen – auf vielen Flecken der Erde ganz anders. Auch deshalb ist es ein Geschenk, alt zu werden. Ein Geschenk, das wir vielleicht manchmal zu sehr als gegeben betrachten, das wir aber nicht allein in unseren Händen haben.
Wenn Sie sich um Ihre kranke Mutter, den dementen Partner oder einen anderen lieben Menschen kümmern und tagtäglich damit konfrontiert sind, was im Alter alles beschwerlicher wird und was die Organisation von Pflege und allem Drum und Dran an Kraft kostet – dann mag dieses Geschenk für Sie weniger strahlen. Doch trotz aller Mühen und Gebrechen gibt es etwas, das uns im Alltag Kraft gibt. Das kann der nette Nachbar sein, der immer Brötchen mitbringt, die liebevolle Pflege der Tochter oder der warme Sonnenschein an einem goldenen Oktobertag. Es geht darum, das Beste aus jedem Tag zu machen und das Gute als Geschenk Gottes anzunehmen. Wenn ich zum Beispiel erlebe, wie die Bewohner einer Wohngemeinschaft für Demenzkranke miteinander spielen und lachen – dann ist das für mich ein Geschenk Gottes.
Aber auch im wohlhabenden Hamburg haben nicht alle alten Menschen eine gute Zeit. Der eine kann sich von seiner Lebensversicherung mit 66 Jahren eine tolle Karibik-Kreuzfahrt leisten – die andere nicht mal eine HVV-Tageskarte.
Wie wollen wir alt werden? Jeder allein mit seinem Risiko? Ich bin froh, dass wir als Diakonie in unserer Stadt Menschen in verschiedensten Lebenslagen beistehen. Wir vermitteln Freiwillige an Senioren und entlasten Angehörige. Wir bieten qualifizierte Sozial- und Pflege-Beratung an, die Nachfrage ist groß. Wir sind einer der großen Anbieter von ambulanter und stationärer Pflege in der Stadt und eine Ideenschmiede: Wo wir neue Bedarfe sehen, entwickeln wir neue Projekte. Wir wollen da helfen, wo wir gebraucht werden.
Wer viel mit älteren und alten Menschen zu tun hat, erlebt, dass sie im Alter keineswegs nur Fähigkeiten verlieren, sondern neue Stärken entwickeln. Sie sehen möglicherweise kritisch, was wir unglaublich wichtig finden. Sie sind gelassener, legen mehr Wert auf Nähe und Gemeinschaft und leben ihre Tage bewusster. Sie stellen wichtige Fragen an das Leben, an ihr eigenes Leben, und blicken zurück. Wer jünger ist, tut das meist weniger. Aber die Frage, was wir mit unserem Leben anfangen, treibt doch fast jeden und jede einmal um. Leben ist ein Geschenk, wie das Altwerden. Es tut gut, sich das ab und zu bewusst zu machen, bewusst zu leben – auch in schweren Zeiten – und zu wissen: Ich bin nicht allein. Es gibt sie alle – den netten Nachbarn, die liebevolle Tochter und Gott.
Ihr
Dirk Ahrens
Landespastor
Inhalt
ReportageDas Beste aus jedem Tag machenEin Besuch bei alten Menschen und ihren Angehörigen in Hamburg
Video-SerieLeben im AlterDemenzgarten
Zwischen Alter und ElbeZahlen, Fakten und Meilensteine zur Pflege in Hamburg
Kleines PflegelexikonBegriffe rund um die Pflege erklärt
„Weil nicht der Profit, sondern die Menschlichkeit im Vordergrund steht“Was Pflegekräfte über ihre Arbeit bei der Diakonie sagen
„Die Arbeit in der Altenpflege ist nicht einfach, aber das Lächeln der alten Menschen gibt alles zurück und ist unbezahlbar.“ -Rateba Wasser
„Hier kann ich pflegen, wie ich später selbst einmal gepflegt und betreut werden will.“ -Andrea Klimpel
„Der Gedanke der christlichen Nächstenliebe wird hier gelebt. Bei allem Zeitdruck bleibt Raum für eine liebevolle Umarmung und ein Gespräch.“ -Christa Schmidt
„Am Ende meines Arbeitstages kann ich sagen, dieser Tag war sinnvoll. Die Diakonie stiftet Sinn.“ -Frank Husen
Video-SerieLeben im AlterRetroBrain
Zukunft der Pflege: Keiner schafft's alleinBezahlte Fachkräfte, pflegende Angehörige und freiwillig Engagierte werden gleichermaßen gebraucht
Nächstenliebe oder Gewinn - was zählt? Vorteil Gemeinnützigkeit: Für die Diakonie sind Pflege und Gesundheit keine Ware
Nächstenliebe oder Gewinn - was zählt? Vorteil Gemeinnützigkeit: Für die Diakonie sind Pflege und Gesundheit keine Ware
Das ist das jüngste Beispiel, wie auch in Hamburg Daseinsvorsorge zur Ware wird. Bei den Krankenhäusern, die früher der Stadt gehörten, ging es genauso: Sie wurden an die private Klinik-Kette Asklepios verkauft. Gesundheitsversorgung - ein Wirtschaftsgut.
Die Ziele von gemeinnützigen und erwerbswirtschaftlichen Trägern unterscheiden sich aber grundlegend. Die Gemeinnützigen sind zuerst einem ideellen Zweck verpflichtet, bei uns in der Diakonie ist das der Dienst am Nächsten. Trotzdem müssen auch wir natürlich gut wirtschaften. Aber es gibt keine Eigentümer, die mit der Arbeit der Diakonie eine möglichst hohe Rendite erzielen möchten. Keine Anteilseigner, die die Gewinne abschöpfen.
Wo wir Gewinne erzielen, können wir sie wieder in den Betrieb stecken. So erhalten wir nicht nur die Substanz, sondern entwickeln die diakonischen Angebote innovativ weiter. Das kommt der ganzen Stadt zugute: In der Pflege haben wir viele fortschrittliche Versorgungsstrukturen maßgeblich mitgestaltet, zum Beispiel in der ambulanten Palliativversorgung (siehe Reportage) oder in der stationären Dementenbetreuung.
Außerdem bezahlen wir – anders als viele privat-gewerbliche Anbieter – unsere Mitarbeitenden nach Tarif. Pflegekräfte leisten eine überaus verantwortungsvolle Arbeit, die gesellschaftlich noch immer nicht genügend anerkannt wird. Tarifliche Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen zeigen unsere Wertschätzung für diese wichtigen Berufe. Wir halten es für den besseren Weg, wenn die Daseinsvorsorge in den Händen gemeinnütziger Anbieter liegt. Aber wo es anders ist, scheut die Diakonie den Wettbewerb nicht. Dann aber sollten die Bedingungen für alle gleich sein. Und das ist ärgerlicherweise nicht immer der Fall. Ein Beispiel: Bei den weniger qualifizierten Kräften in der Pflege gibt es derzeit noch mehr Bewerber als Jobs. Während die Gemeinnützigen zuverlässig nach Tarif bezahlen, drücken privat-gewerbliche Arbeitgeber die Löhne und bieten ihre Leistungen in der Folge billiger an. Das ist nicht fair und geht zu Lasten der Beschäftigten und der Pflegequalität.
Wir begrüßen es deshalb, dass der Mindestlohn in der Pflege angehoben wird – bis 2020 auf 11,35 Euro pro Stunde. Daran müssen sich dann auch die privat-gewerblichen Mitbewerber halten. Die Wettbewerbsverzerrung wird dadurch gemildert. Beseitigt ist sie aber auch dann nicht: Denn die Diakonie zahlt schon heute den nicht examinierten Pflegekräften ein Anfangsgehalt, das einem Stundensatz von 12,21 Euro (ab 1.1.2018) entspricht.
Die Diakonie liefert Qualität auf der Grundlage von Werten. Daseinsvorsorge ist für uns keine Ware. Ob der Dienst am Nächsten oder der Gewinn zählt?
Für uns ist die Antwort klar.
Mehr zum Arbeitgeber-Versprechen der Diakonie in der Pflege:
www.pflege-jobs.hamburg/arbeitgeber-diakonie
Siehe auch Kapitel "Zwischen Alter und Elbe": Was Pflegekräfte verdienen
Sorgearbeit neu gestalten
„Sorge ist keine Ware. Mit dem Versorgen von abhängigen Menschen dürfen weder Profite erwirtschaftet werden, noch darf diese Arbeit der Zeittaktung unterliegen.“ So heißt es in einer Resolution der Frauensynode der Nordkirche. Das Papier wurde 2015 beschlossen und vor Kurzem an Bundesfamilienministerin Katarina Barley übergeben. Sorgearbeit in umfassendem Sinn wird mit dem englischen Begriff „Care“ bezeichnet. Darunter fallen die bezahlte Arbeit in der Pflege ebenso wie unbezahlte Tätigkeiten, etwa Kindererziehung oder Pflege von Angehörigen. Dafür seien immer noch überwiegend Frauen verantwortlich, kritisiert die Resolution.
Hier finden Sie den vollständigen Text der Resolution.
Leben im AlterDemenz-WG
Impressum
Diakonisches Werk Hamburg
Landesverband der Inneren Mission e.V. Königstraße 54
22767 Hamburg
Telefon 040 30 62 0-231
Fax 040 30 62 0-315
info@diakonie-hamburg.de
www.diakonie-hamburg.de
Konzeption und Redaktion
Malte Habscheidt (verantwortlich), Anne Rütten
Texte
Detlev Brockes, www.detlevbrockes.de
(Zahlen, Fakten, Meilensteine; Panorama)
Anke Pieper, www.ankepieper.de (Reportage)
Fotos
Stefan Albrecht, Mauricio Bustamante, Simone Friese, Guido Kollmeier, Lea Krause-Solberg, Heike Rössing, Annette Schrader
Zahlen und Fakten
Bianca Carstensen
Gestaltung und Infografiken
Stephanie Haase
Umsetzung für Pageflow
Anne Rütten
Druck
Druckerei Zollenspieker Kollektiv GmbH, Hamburg
Papier
Gedruckt auf 100% Recyclingpapier,
zertifiziert mit dem Blauen Engel.
Auflage
11.000
Reportage
Das Beste aus jedem Tag machen Ein Besuch bei alten Menschen und ihren Angehörigen in Hamburg
Das Beste aus jedem Tag machen Ein Besuch bei alten Menschen und ihren Angehörigen in Hamburg
Senioren helfen Senioren
Oft gehen die beiden untergehakt ins Göhlbachtal. Die Grünanlage ist nur wenige hundert Meter von der Wohnung entfernt. Zwischen Neubauten stehen noch eine Handvoll Bauernhäuser des alten Eißendorfs und imposante Eichen. Ursel Kannenberg setzt sich gern auf eine Bank im Park: „Ich stelle mir vor, was diese Bäume alles gesehen haben. Wenn die erzählen könnten!“
Die 88-Jährige verliert seit einem Schlaganfall manchmal kurz das Gleichgewicht. Deshalb fühlt sie sich sicherer, wenn sie beim Spaziergang nicht allein ist. Immer dienstags kommt Sonja Jonasson zu Besuch. „Das freut mich ungemein, denn so viele Ansprechpartner hat man nicht, viele meiner Freundinnen und Freunde leben nicht mehr.“ Ursel Kannenberg lebt in einer kleinen Wohnung und hat sich für alle Fälle im Pflegeheim gegenüber angemeldet. „Sorgen mache ich mir eigentlich keine. Ich versuche, aus jedem Tag das Beste zu machen.“
Als Sonja Jonassons Kinder groß waren, nahm sie verschiedene Ehrenämter an, war Schöffin, besuchte als „Grüne Dame“ Patienten im Krankenhaus und leitete einen Seniorentreff. Seit Jahren engagiert sie sich im Seniorenbeirat des Bezirks. Nach dem Tod ihres Mannes verkaufte sie das Einfamilienhaus, blieb aber in Harburg und zog in eine Seniorenwohnanlage in der Nähe des Außenmühlen-Sees. Bereut hat sie diesen Schritt nie: „Heute sitze ich manchmal auf meinem Balkon und schaue den Gärtnern zu, wie sie den Rasen mähen, herrlich!“ In die Hamburger Innenstadt fährt sie kaum: „Ich hab’ hier eigentlich alles.“ Das Älterwerden habe sich sehr verändert, überlegt sie: „Wenn ich an meine Mutter denke, die war mit 50 Jahren schon alt. Heute sind wir Älteren sehr neugierig und möchten viel wissen. Ich möchte weiter so leben wie jetzt und neugierig bleiben auf alles, was kommt.“